Ökologie und Infrastruktur als Machtbasis
„Ich bin der Sand, auf dem ihr geht.“ – Leto II Atreides
Der Gottkaiser ist nicht einfach Herrscher über die Wüste – er ist die Wüste.
Er kontrolliert nicht nur das Spice, sondern das Ökosystem, das es hervorbringt.
In Herberts Roman verschmilzt Macht mit Umwelt: Wer die Bedingungen des Lebens beherrscht, braucht keine Armeen.
In dieser Gleichung wird Ökologie zur Infrastruktur, und Infrastruktur zur Ideologie.
Heute, in einer Welt aus Stromtrassen, Glasfasern und Rechenzentren, leben wir auf einem ebenso künstlichen Sand.
Unsere Wüste ist digital – doch sie gehorcht denselben Gesetzen wie Arrakis.
1. Infrastruktur als Umwelt
Karl Wittfogel erkannte: Jede Gesellschaft, die ihre Umwelt technisch kontrolliert, schafft sich selbst eine zweite Natur.
Der Damm, der Fluss, das Kraftwerk – sie alle formen die Landschaft nicht nur physisch, sondern politisch.
Im 21. Jahrhundert heißen diese Landschaften:
- Cloud-Regionen statt Flusstäler,
- Datenzentren statt Oasen,
- Energieströme statt Bewässerungskanäle.
Wir leben nicht in der Umwelt, sondern auf der Infrastruktur.
Und wer diese kontrolliert, bestimmt, was „Natur“ überhaupt bedeutet.
2. Die digitale Wüste
Der Planet ist kein grüner Garten, sondern ein riesiges Rechenzentrum.
Tausende Serverfarmen verbrauchen Strom wie Städte, Wasser wie Flüsse und Land wie Imperien.
Leto II würde sagen:
„Ich bin die Ökologie, die ihr fürchtet, weil ihr sie nicht versteht.“
Die Cloud ist kein luftiger Ort, sondern eine Industrie:
Beton, Stahl, Klimaanlagen, Dieselgeneratoren.
Ihre Temperatur wird zur neuen Klimapolitik.
Ein Grad zu heiß – und der digitale Fluss versiegt.
3. Der Energiehunger der Macht
In der hydraulischen Gesellschaft diente Wasser der Landwirtschaft; heute dient Energie der Information.
Doch beides teilt denselben Fluch: Wer mehr Kontrolle will, braucht mehr Energie.
Künstliche Intelligenz, Blockchain, Streaming – sie alle steigern Rechenleistung, also Stromverbrauch.
Der Energiebedarf einer globalen KI-Welle ist keine Nebenwirkung, sondern ihr ökologischer Preis.
Der Wüstenplanet war nie wirklich trocken – er war nur effizient.
Unsere Welt ist feucht vor Strom, aber ineffizient bis zur Absurdität.
4. Terraforming als Politik
Leto II kontrolliert Arrakis durch ein ökologisches Gleichgewicht: zu viel Regen – das Spice stirbt; zu wenig – das Volk verhungert.
Dieses Machtspiel spiegelt sich in heutigen „grünen“ Technologien.
Regierungen regulieren CO₂-Emissionen, Konzernen gewähren sie Emissionsrechte.
Man nennt es Klimaschutz, doch es ist oft Ressourcenverwaltung im alten Stil:
Zertifikate sind die modernen Wasserrechte.
Der Markt ist der neue Priester.
Ökologie wird so zur Rechtfertigung von Kontrolle.
Denn wer das Klima rettet, darf alles.
5. Die Ökologie der Daten
Auch Daten haben eine Umwelt.
Sie entstehen, werden geerntet, verarbeitet, gespeichert, gelöscht.
Diese Kreisläufe verbrauchen Ressourcen: Energie, Wasser, seltene Erden.
Jedes Like hat einen CO₂-Fußabdruck.
Jede KI-Abfrage ist eine kleine Dürre im globalen Stromnetz.
Wir nennen es „digitalen Fortschritt“, aber es ist bloß eine neue Form von Landwirtschaft – Datenfarming statt Weizen.
Der Gottkaiser hätte das verstanden.
Er wusste, dass Kontrolle über Ökologie immer Kontrolle über Kultur ist.
6. Macht durch Umweltgestaltung
Im alten Ägypten sicherte der Nil die Monarchie, in der Industrialisierung der Dampf, im Informationszeitalter die Cloud.
Aber der Mechanismus bleibt gleich: Wer Umwelt gestaltet, formt Verhalten.
Das Bürolicht, das immer brennt, schafft Produktivität.
Der Algorithmus, der Energie spart, schafft Gehorsam.
Und die App, die CO₂ anzeigt, erzeugt Moral.
Technologie wird zur Umweltpädagogik – subtil, effizient, unvermeidbar.
7. Die Ästhetik der Nachhaltigkeit
Das Paradoxe: Je „grüner“ Technologie auftritt, desto tiefer reichen ihre ökologischen Schatten.
Serverfarmen werden mit Solarstrom beworben, während sie Grundwasser verbrauchen.
Recycling-Logos schmücken Smartphones, die nach zwei Jahren Elektroschrott sind.
„Nachhaltigkeit“ ist das neue „Göttliche Recht“.
Sie segnet Macht, während sie sie verschleiert.
Herberts Gottkaiser wusste, dass Moral und Macht ein perfektes Paar abgeben – solange niemand den Boden hinterfragt, auf dem sie stehen.
8. Die doppelte Wüste
Die alte Wüste tötete durch Trockenheit, die neue durch Überhitzung.
Beide erzeugen Gehorsam.
Arrakis disziplinierte durch Entbehrung, unsere Infrastruktur durch Abhängigkeit.
Wenn das Netz ausfällt, erleben wir digitalen Durst – und gehorchen beim nächsten Login noch bereitwilliger.
Knappheit ist die göttliche Gabe, Erinnerung die Strafe.
9. Die Politik der Kühlung
Die wohl unterschätzteste politische Frage der Zukunft lautet: Wer kontrolliert die Kühlung?
Denn ohne Kühlung kollabiert die Cloud, ohne Cloud kollabiert die Ökonomie.
Der Gottkaiser beherrschte das Klima seiner Welt – wir versuchen dasselbe mit Rechenzentren.
Der Unterschied: Er hatte einen Plan. Wir haben nur Kühlwasser.
10. Schluss: Der Sand unter unseren Füßen
Leto II Atreides wurde zur Wüste, um seine Welt zu bewahren.
Wir werden zu Datenströmen, um sie zu verlieren.
Die ökologische Infrastruktur ist das Fundament der modernen Macht –
und sie verschlingt uns leise, wie der Sandwurm, der unter der Oberfläche wartet.
Vielleicht besteht Weisheit heute darin, wieder zu verstehen, dass jedes System Grenzen hat.
Dass Nachhaltigkeit nicht bedeutet, mehr zu bauen, sondern weniger zu brauchen.
Denn am Ende gilt:
„Ich bin der Sand, auf dem ihr geht.“
Und der Boden, der uns trägt, vergisst nichts.
Wissenschaftliche Quellen
- Wittfogel, K. A. (1957). Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power. Yale University Press.
- Bichsel, C. (2016). Water and the (Infra-)structure of Political Rule. Water Alternatives, 9(2).
- Mayer, A. (2022). Fossil fuel dependence and energy insecurity. Energy, Sustainability and Society.
- Levenda, A. (2018). Silicon Forest and Server Farms: The (Urban) Nature of Data Centers. Culture Machine, 18.
- van der Vlist, F. (2024). Big AI: Cloud Infrastructure Dependence and the Interdependence of AI with Cloud Infrastructure. SAGE Open.
- Gu, H. (2023). Data, Big Tech and the New Concept of Sovereignty. Digital Society Review.
- Nolin, J. (2019). Data as Oil, Infrastructure or Asset? ResearchGate.
- Deepak, V., Steinhoff, T. & Simoes, M. (2024). The Political Economy of Link-based Web Search. arXiv Preprint.
Bild: Ki Illustration
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