Das Internet der Zukunft: Kampf um Kontrolle, Grundrechte und Netzneutralität

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Das Internet – einstmals Symbol grenzenloser Freiheit und Offenheit – steht heute an einem entscheidenden Scheideweg. Seine künftige Gestalt wird nicht allein von nationalen Regierungen bestimmt, sondern maßgeblich durch das Zusammenspiel mächtiger privater Unternehmen und weitreichender internationaler Kooperationen. Diese Akteure üben einen tiefgreifenden Einfluss auf Gesetzgebung, die tatsächliche Durchsetzung von Regeln und den Schutz digitaler Freiheitsrechte aus.

Von den Forderungen großer europäischer Telekommunikationskonzerne wie Deutsche Telekom, Telefónica und Orange nach einem „maßgeschneiderten, deregulierten Internet“ im Rahmen des Digital Networks Act (DNA), einschließlich der Aufweichung der Netzneutralität, bis hin zum geplanten Einsatz kontroverser Überwachungssoftware wie den Gesichter-Suchmaschinen Clearview AI und PimEyes oder der Analyse-Software Palantir durch deutsche Sicherheitsbehörden: Die Interessen sind vielfältig und oft widersprüchlich. Gleichzeitig drängen internationale Regelwerke und die britische Medienaufsicht Ofcom auf rigorose Alterskontrollen, die den Upload von Ausweisdokumenten oder biometrische Gesichtsscans erfordern können, und ermöglichen einen grenzüberschreitenden Datenaustausch, der sogar die digitale Souveränität in Frage stellen kann.

Dieser Blogbeitrag taucht tief in die Mechanismen dieser Einflussnahme ein und beleuchtet, welche Akteure welche Visionen für das Internet der Zukunft verfolgen und was dieser Kampf um Kontrolle und Regulierung für unsere Grundrechte im digitalen Raum bedeutet.

Welche umfassenden Auswirkungen haben die vorgeschlagenen Gesetze auf die digitalen Freiheitsrechte der Bürger?

Auswirkungen des Digital Networks Act (DNA)

Der geplante Digital Networks Act (DNA) der EU-Kommission zielt darauf ab, den Ausbau moderner Infrastruktur zu beschleunigen und den Bürokratieaufwand für Netzbetreiber zu senken. Er könnte aber kaum eine Ecke des Internet-Ökosystems unangetastet lassen. Große europäische Netzbetreiber wie Orange, Telefónica und die Telekom wünschen sich ein für sie maßgeschneidertes, dereguliertes Internet. Dies könnte folgende Auswirkungen haben:

Ende der Vorab-Regulierung und sektorspezifischer Regeln: Die großen Telekom-Konzerne werben für die Abschaffung der Vorab-Regulierung und möchten, dass stattdessen normales Wettbewerbsrecht zum Standardansatz wird. Zudem sollen viele sektorspezifische Regeln, etwa zum Verbraucherschutz, fallen.

Wegfall von Verpflichtungen für Ex-Monopolisten: Die Verpflichtung für große Ex-Monopolisten, Wettbewerber zu geregelten Bedingungen in ihre Netze zu lassen, steht auf dem Prüfstand. Auch Universaldienstverpflichtungen sollen komplett entfallen.

Lockerung der Roaming-Regeln und ePrivacy-Richtlinie: Telefónica und Orange drängen auf die ersatzlose Streichung der ePrivacy-Richtlinie und eine Lockerung der Roaming-Regeln, obwohl die EU-Regulierung die horrend hohen Gebühren für EU-Auslandstelefonie erst beseitigt hat.

Einschränkung der Netzneutralität: Die Telko-Riesen fordern garantierte Entgelte von Inhalteanbietern (Over-The-Top-Anbieter wie WhatsApp), die ihre Leitungen nutzen. Sie möchten die EU-Regeln zur Netzneutralität aufschnüren, die ursprünglich dazu dienten, Innovation zu schützen und zu verhindern, dass Netzbetreiber neue Internetdienste durch Aufpreise behindern. Mit der Einführung von „Network Slices“ im 5G-Mobilfunkprotokoll könnten bezahlte Überholspuren ermöglicht werden, was als „Todesstoß für die Netzneutralität“ angesehen wird.

Konzentration der Marktmacht: Die Wünsche der großen Ex-Monopolisten lesen sich wie ein Programm, das sie wieder zu nahezu monopolistischer Macht führen soll, diesmal in privater Hand. Dies könnte die Freiheit der Wahl und den Wettbewerb für die Bürger einschränken.

Auswirkungen des neuen Sicherheitspakets des Innenministeriums

Das vom Bundesinnenministerium unter Alexander Dobrindt geplante neue „Sicherheitspaket“ umfasst zwei Gesetzentwürfe zur Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit und wird von der Zivilgesellschaft stark kritisiert.

Biometrische Überwachung im Internet:

    ◦ Die Gesetze sollen es Bundeskriminalamt (BKA) und Bundespolizei erlauben, Personen anhand biometrischer Daten (Fotos, Bewegungs-, Handlungs- oder Sprechmuster) in „öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet“ zu suchen.

    ◦ Dafür dürften digitale Werkzeuge wie die Gesichter-Suchmaschinen Clearview AI oder PimEyes genutzt werden, deren Datensammlungen von vielen Datenschützern als illegal eingestuft werden.

    ◦ Diese Suche soll nicht nur Verdächtige, sondern auch „Kontaktpersonen, Opfer und Zeugen“ umfassen.

    ◦ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll ebenfalls Fotos von Asylsuchenden mit Gesichter-Suchmaschinen im Internet abgleichen dürfen, um Identität oder Staatsangehörigkeit festzustellen. Dies greift potenziell in die Privatsphäre von Personen ein, die mit der Polizei in Kontakt treten, ohne selbst verdächtig zu sein.

    ◦ Die biometrische Vollerfassung im Netz wird als grundrechtswidrig kritisiert.

Automatisierte Datenanalyse und Künstliche Intelligenz (KI):

    ◦ Die Gesetze sollen BKA und Bundespolizei erlauben, „verschiedene Datenbestände technisch zusammenzuführen“ und automatisiert zu analysieren, um „Verbindungen zwischen Taten, Personen, Orten sowie anderen Anknüpfungspunkten zu finden“ und sogar „neues Wissen zu erzeugen“.

    ◦ Hierfür soll Software wie die von Palantir (z.B. Gotham) genutzt werden.

Die GFF (Gesellschaft für Freiheitsrechte) hat Verfassungsbeschwerde gegen Data Mining und Palantir in Bayern eingereicht, da das Bundesverfassungsgericht bereits Landesgesetze zur automatisierten Datenanalyse als verfassungswidrig eingestuft und gekippt hatte.

    ◦ Das Problem liegt nicht nur bei Palantir selbst, sondern im Ansinnen, die Zweckbindung polizeilich aufgenommener Daten zu untergraben und letztlich aufzulösen.

Daten, die im Vertrauen auf sorgsamen Umgang an Behörden gegeben wurden (z.B. als Zeuge eines Diebstahls oder bei einem Verkehrsunfall), könnten automatisiert in Analysewerkzeugen landen und Personen mit anderen Straftaten in Verbindung bringen oder Überwachungsmaßnahmen nach sich ziehen.

    ◦ Die automatisierte Datenanalyse wird als „Totalüberwachung des öffentlichen Raumes“ bezeichnet.

Kritiker warnen, dass sie zu Tausenden von „false positives“ führen kann, die für Betroffene katastrophal sein und die Polizei zusätzlich belasten könnten. Außerdem können Verzerrungen durch Bias in den Trainingsdaten zu Ungenauigkeiten führen.

    ◦ Die Intransparenz der Palantir-Software und die starke Abhängigkeit der Polizei von einem kommerziellen Anbieter sind weitere Bedenken.

Der Mitgründer Peter Thiel und CEO Alexander Karp von Palantir sind zudem durch öffentliche Aussagen aufgefallen, die Zweifel an ihrem Wert für Menschenrechte und Demokratie aufkommen lassen. Es wird kritisiert, dass private Organisationen und Großkonzerne sich Aufgaben anmaßen, die in den Bereich der staatlichen Gewaltmonopole fallen, und dabei Grundrechte übertreten können, die dem Staat gesetzt sind.

    ◦ Die Gesetzentwürfe erlauben explizit die Zusammenarbeit mit Dritten, auch außerhalb der Europäischen Union, was Bedenken hinsichtlich digitaler Souveränität aufwirft.

Auswirkungen der Alterskontrollen (am Beispiel Großbritanniens und EU-Ambitionen)

Obwohl es sich beim Online Safety Act um ein britisches Gesetz handelt, wird es als schlechtes Beispiel für die EU angeführt, da auch in der EU politische und behördliche Vorstöße für rigorose Altersschranken existieren.

Risiken für Datenschutz und Privatsphäre: Die empfohlenen Methoden zur Alterskontrolle, wie der Upload von Ausweisdokumenten oder biometrische Gesichtsscans, stellen eine Gefahr für Datenschutz und Privatsphäre dar. Sie können zudem Menschen ohne Papiere ausschließen.

Diskriminierung durch KI: KI-basierte Systeme zur Altersschätzung können Fehler machen, insbesondere bei Personen aus unterrepräsentierten Gruppen, was zu potenzieller Diskriminierung führt.

Trügerische Sicherheit: Die Kontrollsysteme sind leicht umgehbar (z.B. mit VPN-Software oder Tor-Browser) und bieten daher nur eine trügerische Sicherheit, was ihren angeblichen Jugendschutzzweck verfehlt.

Gefahr der Kriminalisierung von Anonymisierungsdiensten: Die leichte Umgehbarkeit der Alterskontrollen führt zu Forderungen, Anonymisierungsdienste wie VPN-Software oder Tor zu kriminalisieren.

Solche Dienste sind jedoch entscheidend für die Wahrung von Grundrechten wie Datenschutz, Privatsphäre und Informationsfreiheit und zur Umgehung von Zensur. Eine Kriminalisierung würde die Grundrechte von allen gefährden, die sich aus gutem Grund vor kommerzieller und staatlicher Überwachung schützen müssen, darunter Journalisten, Aktivisten, Dissidenten, verfolgte Minderheiten und Whistleblower.

Zusammenfassend lassen die vorgeschlagenen Gesetze und Entwicklungen einen Trend zur verstärkten Überwachung und Deregulierung erkennen, der potenziell die digitalen Freiheitsrechte der Bürger in Bereichen wie Privatsphäre, Datenschutz, Netzneutralität und die Freiheit der Informationsbeschaffung erheblich einschränken könnte.

Wie beeinflussen technologische Fortschritte wie KI und biometrische Datenanalyse die öffentliche Sicherheit?

Technologische Fortschritte wie Künstliche Intelligenz (KI) und biometrische Datenanalyse beeinflussen die öffentliche Sicherheit auf umfassende Weise, wobei sowohl beabsichtigte Stärkungen der Ermittlungsbefugnisse als auch weitreichende Bedenken hinsichtlich digitaler Freiheitsrechte bestehen.

Beabsichtigte Stärkung der öffentlichen Sicherheit durch KI und biometrische Datenanalyse.

Die Bundesregierung plant, die digitalen Ermittlungsbefugnisse der Polizeibehörden durch den Einsatz von KI und biometrischer Datenanalyse zu stärken.

Das Ziel ist es, auf neue Herausforderungen im Bereich der inneren Sicherheit reagieren zu können, insbesondere angesichts schwerer Gewalttaten durch Einzeltäter, internationalen Terrorismus und organisierte Kriminalität.

Richterwahl Nannystaat Ideologie2Bild: Ki Illustration © https://gedankenschleife.net

1. Biometrischer Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet:

    ◦ Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei sollen erlaubt bekommen, Personen anhand biometrischer Daten wie Fotos, Bewegungs-, Handlungs- oder Sprechmuster in „öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet“ zu suchen.

    ◦ Dies soll zur Identifizierung, Lokalisierung sowie zur Erschließung von Tat-Täter-Zusammenhängen dienen.

    ◦ Dafür könnten digitale Werkzeuge wie die Gesichter-Suchmaschinen Clearview AI oder PimEyes genutzt werden.

    ◦ Die Suche soll nicht nur auf Verdächtige beschränkt sein, sondern auch „Kontaktpersonen, Opfer und Zeugen“ umfassen.

    ◦ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll ebenfalls Fotos von Asylsuchenden mit Gesichter-Suchmaschinen im Internet abgleichen dürfen, um deren Identität oder Staatsangehörigkeit festzustellen.

2. Automatisierte Datenanalyse und Künstliche Intelligenz (KI):

    ◦ BKA und Bundespolizei sollen befugt werden, „verschiedene Datenbestände technisch zusammenzuführen“ und automatisiert zu analysieren.

    ◦ Der Zweck ist es, „Verbindungen zwischen Taten, Personen, Orten sowie anderen Anknüpfungspunkten zu finden“ und sogar „neues Wissen zu erzeugen“.

    ◦ Dies wird als zentraler Baustein angesehen, um die stetig wachsenden Datenmengen in polizeilichen Ermittlungsverfahren verarbeiten zu können, insbesondere für komplexe Ermittlungen in den Bereichen Terrorismus, schwerer und organisierter Kriminalität.

Es soll auch eine schnelle Datenauswertung in konkreten Anschlagssituationen ermöglichen, um Gefahren abzuwehren.

    ◦ Hierfür soll Software wie die von Palantir (z.B. Gotham) genutzt werden.

3. Testen und Trainieren von IT-Produkten:

    ◦ Die Gesetzentwürfe sehen auch Befugnisse für das Testen und Trainieren von IT-Produkten, einschließlich selbstlernender Systeme, für die Polizeibehörden vor. Dies ist elementar für eine moderne polizeiliche Arbeit.

Umfassende Auswirkungen und Bedenken für digitale Freiheitsrechte

Trotz der beabsichtigten Sicherheitsgewinne werden die vorgeschlagenen Gesetze und der Einsatz dieser Technologien von der Zivilgesellschaft und Datenschutzexperten stark kritisiert.

Die Bedenken betreffen grundlegende digitale Freiheitsrechte:

1. Einschränkung der Privatsphäre und des Datenschutzes:

    ◦ Die „biometrische Vollerfassung im Netz“ wird als „grundrechtswidrig“ bezeichnet.

    ◦ Datensammlungen von Gesichter-Suchmaschinen wie Clearview AI oder PimEyes werden von vielen Datenschützern als illegal eingestuft.

    ◦ Der Abgleich biometrischer Daten von „Kontaktpersonen, Opfern und Zeugen“ mit öffentlich zugänglichen Internetdaten greift potenziell in die Privatsphäre von Personen ein, die mit der Polizei in Kontakt treten, ohne selbst verdächtig zu sein.

    ◦ Die Alterskontrollen, wie sie in Großbritannien praktiziert werden und in der EU angestrebt werden, erfordern oft den Upload von Ausweisdokumenten oder biometrische Gesichtsscans, was eine Gefahr für Datenschutz und Privatsphäre darstellt und Menschen ohne Papiere ausschließen kann.

2. Gefahr der „Totalüberwachung“ und Untergrabung der Zweckbindung:

    ◦ Die automatisierte Datenanalyse wird als „Totalüberwachung des öffentlichen Raumes“ kritisiert.

    ◦ Das Bundesverfassungsgericht hat bereits Landesgesetze zur automatisierten Datenanalyse als verfassungswidrig eingestuft und gekippt.

    ◦ Das Kernproblem liegt im Ansinnen, die Zweckbindung polizeilich aufgenommener Daten zu untergraben und letztlich aufzulösen.

Daten, die im Vertrauen auf sorgsamen Umgang an Behörden gegeben wurden (z.B. als Zeuge eines Diebstahls oder bei einem Verkehrsunfall), könnten automatisiert in Analysewerkzeugen landen und Personen mit anderen Straftaten in Verbindung bringen oder Überwachungsmaßnahmen nach sich ziehen.

3. Risiken durch Fehler, Bias und Intransparenz der KI:

    ◦ Automatisierte Datenanalyse und KI-Systeme können zu Tausenden von „false positives“ führen, die für Betroffene katastrophal sein und die Polizei zusätzlich belasten könnten.

    ◦ Es besteht die Gefahr von Verzerrungen durch Bias in den Trainingsdaten, was zu Diskriminierung und Ungenauigkeiten führen kann, insbesondere bei der Altersschätzung mittels KI für unterrepräsentierte Gruppen.

    ◦ Die Intransparenz der Palantir-Software und die starke Abhängigkeit der Polizei von einem kommerziellen Anbieter sind weitere Bedenken.

Die öffentliche Aussagen von Palantir-Mitgründer Peter Thiel und CEO Alexander Karp geben Anlass zu Zweifeln am Wert für Menschenrechte und Demokratie.

4. Digitale Souveränität und internationale Zusammenarbeit:

    ◦ Die Gesetzentwürfe erlauben explizit die Zusammenarbeit mit Dritten, auch außerhalb der Europäischen Union, was Bedenken hinsichtlich der digitalen Souveränität aufwirft.

5. Gefährdung der Anonymität und Informationsfreiheit:

    ◦ Da Alterskontrollsysteme leicht umgehbar sind (z.B. mit VPN-Software oder Tor-Browser), führt dies zu Forderungen, Anonymisierungsdienste wie VPN oder Tor zu kriminalisieren.

    ◦ Solche Dienste sind jedoch entscheidend für die Wahrung von Grundrechten wie Datenschutz, Privatsphäre und Informationsfreiheit und zur Umgehung von Zensur. Eine Kriminalisierung würde die Grundrechte von allen gefährden, die sich aus gutem Grund vor kommerzieller und staatlicher Überwachung schützen müssen, darunter Journalisten, Aktivisten, Dissidenten, verfolgte Minderheiten und Whistleblower.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass technologische Fortschritte im Bereich KI und biometrischer Datenanalyse die öffentliche Sicherheit potenziell durch erweiterte Ermittlungsbefugnisse stärken sollen. Gleichzeitig bergen die vorgeschlagenen Gesetze jedoch erhebliche Risiken für die digitalen Freiheitsrechte der Bürger, insbesondere in Bezug auf Privatsphäre, Datenschutz, das Prinzip der Zweckbindung und die Freiheit der Informationsbeschaffung.

Welche Rolle spielen private Unternehmen und internationale Kooperationen bei der Regulierung des Internets?

Private Unternehmen und internationale Kooperationen spielen eine wesentliche Rolle bei der Regulierung des Internets und beeinflussen dabei sowohl Gesetzgebungsprozesse als auch die tatsächliche Durchsetzung von Regeln und den Schutz digitaler Freiheitsrechte.

Rolle privater Unternehmen

Private Unternehmen üben auf mehreren Ebenen Einfluss aus und sind direkt an der Gestaltung und Implementierung von Internet-Regulierungen beteiligt:

Lobbying und Einflussnahme auf Gesetzgebungsprozesse:

    ◦ Große europäische Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom, Telefónica und Orange streben im Rahmen des geplanten Digital Networks Act (DNA) ein maßgeschneidertes, dereguliertes Internet an

. Sie haben sich an der EU-Konsultation beteiligt und eine in weiten Teilen deckungsgleiche Sichtweise geäußert.

    ◦ Ihre Wunschliste umfasst die Abschaffung der Vorab-Regulierung zugunsten normalen Wettbewerbsrechts, das nur nachträglich auf Fehlentwicklungen reagiert. Sie fordern zudem, möglichst viele sektorspezifische Regeln fallen zu lassen, etwa durch harmonisierte, horizontale Vorschriften für Verbraucherschutz, die von EU-Ländern nicht verschärft werden dürfen.

    ◦ Die Konzerne wollen zudem, dass die ePrivacy-Richtlinie ersatzlos gestrichen wird und Roaming-Regeln gelockert werden, da der Markt dieses Problem gelöst hätte.

    ◦ Gleichzeitig drängen sie auf mehr Regulierung für Over-The-Top-Anbieter (OTTs) wie WhatsApp, da diese den Löwenanteil des Datenverkehrs verursachen würden, aber nicht den gleichen Auflagen (z.B. Netzneutralität) unterliegen wie traditionelle Telekommunikationsanbieter

. Sie wärmen die sogenannte „Fair Share“-Debatte wieder auf und fordern garantierte Entgelte von Inhalteanbietern.

    ◦ Ferner wollen sie die Netzneutralität aufweichen, indem sie die im 5G-Mobilfunkprotokoll eingebauten „Network Slices“ für bezahlte Überholspuren nutzen möchten. Sie beanspruchen auch längere (bis zu unendlich lange) Nutzungsrechte für Frequenzen und wollen den oberen 6-Gigahertz-Bereich alleine nutzen.

    ◦ Kleinere Anbieter sehen dies anders und befürchten, dass die Wünsche der Ex-Monopolisten zu einer nahezu monopolistischen Macht in privater Hand führen könnten.

Bereitstellung von Überwachungs- und Analysesoftware:

    ◦ Private Unternehmen wie Clearview AI und PimEyes stellen Gesichter-Suchmaschinen zur Verfügung, die massenhaft und anlasslos Fotos im Internet sammeln und riesige Datenbanken mit Gesichtern anlegen, welche von vielen Datenschützern als illegal eingestuft werden.

Die Bundesregierung plant, dass das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei diese Werkzeuge für biometrische Abgleiche nutzen dürfen.

    ◦ Die Software Palantir (z.B. Gotham) wird von Polizeibehörden zur automatisierten Analyse großer, verschiedener Datenbestände genutzt, um Verbindungen zwischen Taten, Personen, Orten und Anknüpfungspunkten zu finden und „neues Wissen zu erzeugen“.

    ◦ Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kritisiert den Einsatz von Palantir in Bayern als verfassungswidrig, da es die Zweckbindung polizeilich aufgenommener Daten untergräbt und eine heimliche, gefährliche Ermittlungsmaßnahme darstellt.

    ◦ Die starke Abhängigkeit der Polizei von kommerziellen Anbietern wie Palantir ist problematisch, da deren Geschäftsinteressen von polizeilichen Interessen abweichen können.

Zudem gibt es Bedenken bezüglich der Transparenz der Software und der Haltung von Palantir-Gründern wie Peter Thiel und CEO Alexander Karp zu Menschenrechten und Demokratie. Palantir hat enge und langjährige Verbindungen zu US-Geheimdiensten und -Militärs.

Durchsetzung von Alterskontrollen und Inhaltsmoderation:

    ◦ Plattformen wie Pornhub müssen sich den Alterskontrollen beugen, wie in Großbritannien durch den Online Safety Act durchgesetzt

. Dabei werden oft der Upload von Ausweisdokumenten oder biometrische Gesichtsscans gefordert.

    ◦ Auch Kreditkartenunternehmen üben Druck auf Plattformen wie Steam und Itch.io aus, „anstößige Inhalte“ zu entfernen. Dies führt dazu, dass private Organisationen und Großkonzerne Aufgaben übernehmen, die eigentlich in den Bereich des staatlichen Gewaltmonopols fallen, wobei das Grundgesetz für Private nicht gilt.

Rolle internationaler Kooperationen

Internationale Kooperationen und Regelungen sind entscheidend für die globale Natur des Internets und haben weitreichende Auswirkungen:

Harmonisierung und Anpassung nationaler Gesetze:

    ◦ Die EU-Kommission arbeitet an Gesetzen wie dem Digital Networks Act, der kaum eine Ecke des Internet-Ökosystems unberührt lassen und womöglich einen gemeinsamen europäischen Markt für Telekommunikation schaffen soll.

    ◦ Auch im Bereich der Alterskontrollen drängen Politik und Behörden in der EU auf rigorose Altersschranken. Die EU-Kommission gibt Leitlinien zur Datensparsamkeit und Anonymität bei Alterskontrollen heraus, obwohl Zweifel bestehen, ob sie sich an ihre eigenen Maßstäbe halten wird.

    ◦ Vorschriften wie die der Verordnung über künstliche Intelligenz (EU 2024/1689) und der Datenschutz-Grundverordnung (EU 2016/679) sind zu beachten, wenn es um den biometrischen Abgleich oder die automatisierte Datenanalyse geht.

Grenzüberschreitende Datenverarbeitung und -übermittlung:

    ◦ Die geplanten Gesetzentwürfe des Bundesinnenministeriums erlauben explizit die Zusammenarbeit mit Dritten, auch außerhalb der Europäischen Union, für den biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten. Dies wirft Bedenken hinsichtlich der digitalen Souveränität auf.

    ◦ Datenübermittlungen an Drittstaaten sind erlaubt, sofern dies zum Schutz der nationalen Sicherheit erforderlich ist, wobei der Begriff der nationalen Sicherheit weit gefasst wird und auch die Abwehr von Terrorismus, Spionage und Sabotage umfasst.

Einfluss internationaler Maßnahmen auf digitale Freiheitsrechte:

    ◦ Das britische Beispiel der Alterskontrollen wird als „gefährliche Symbolpolitik“ kritisiert, die zur Einschränkung von Grundrechten im Netz führen kann. Die britische Medienaufsicht Ofcom warnt selbst vor den Hürden, die sie errichtet hat.

    ◦ Die Leichtigkeit, mit der Alterskontrollen mittels VPN-Software oder Tor-Browser umgangen werden können, führt zu Forderungen, Anonymisierungsdienste zu kriminalisieren. Die britische Medienaufsicht verbietet sogar Informationen oder Links zu VPNs auf Pornoseiten.

    ◦ Solche Formulierungen erinnern an Gesetze aus autoritären Staaten wie dem Iran und Russland, die VPN-Dienste verbieten oder sperren, um den Zugang zu Informationen und die Meinungsfreiheit zu kontrollieren.

Eine Kriminalisierung dieser Dienste würde die Grundrechte aller gefährden, die sich aus gutem Grund vor kommerzieller und staatlicher Überwachung schützen müssen, wie Journalisten, Aktivisten oder Whistleblower.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl private Unternehmen als auch internationale Kooperationen maßgeblich die Regulierung des Internets beeinflussen. Während private Unternehmen durch Lobbying und die Bereitstellung spezifischer Technologien die Gesetzgebung mitgestalten und die Durchsetzung von Regeln übernehmen, prägen internationale Kooperationen und Abkommen die Rahmenbedingungen für die nationale Regulierung. Dies führt zu einer komplexen Landschaft, in der die Balance zwischen öffentlicher Sicherheit und digitalen Freiheitsrechten ständig neu verhandelt werden muss.

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